Autor: Dieter Beck (Seite 2 von 6)

Der Wurm im Ohr

Die Zeit ist wieder reif, in der junge Liedermacher sowie alte Hasen in diesem Gewerbe mit mehr oder weniger Sachverstand, aber allem nötigen Ernst sich bemühen, ein allseits beliebtes Fasnachtslied, wenn möglich einen sogenannten Ohrwurm, zu verfassen oder fertig zu stellen.
Die bekannte Psychologin Adele von Muggenstein-Mehrlingen gibt dazu Ratschläge und Anregungen, die zum Gelingen eines ohrgefälligen Fasnachtsliedes beitragen. In ihrem Buch „Wer dichtet so spät noch?“ wendet sie sich gleich im ersten Kapitel an verantwortungsbewusste Reimeschreiber: „Die Texte dürfen den Endverbraucher nicht zu lange mit einer verwirrenden Poesie in eine negative Nachdenklichkeit zwingen. Die Lieder müssen den Konsumenten mit einem lebensbejahenden Inhalt erreichen und ihn in eine positive Stimmung versetzen.“
So taucht Frau von Muggenstein-Mehrlingen im zweiten Kapitel auch gleich tief in die Welt des Schlagers ein, um anhand von verständlichen Beispielen aufzuzeigen, weshalb mancher Schlager allein durch seinen hoffnungsfreudigen Text zu einem allseits beliebten Ohrenschmeichler geworden ist. Adele von Muggenstein-Mehrlingen greift aus der Fülle von Schlagertexten ganz bewusst das Lied „Schöne Maid“ gesungen von Tony Marshall heraus und erläutert, weshalb dieser Text so bekannt ist und unter Fachleuten aus der Musikwelt bewundert wird. Schon im ersten Satz, meint Frau von Muggenstein, kann eine alles entscheidende Frage stehen, die uns in den Bann zieht.
Tony Marshall singt:
„Schöne Maid, hast du heut für mich Zeit?“
Hier ist von einem jungen, hübschen Mädchen die Rede, bei der höflich angefragt wird, ob sie Zeit hätte. Und da ist er, dieser erste Satz, der Spannung erzeugt. Das ist gekonnt gemacht. Wir wissen nicht, wie das Mädchen heißt. Wir wüssten gerne, wie alt es ist, und wo er es gesehen hat. Auch wissen wir noch nicht, von welcher Zeitspanne hier die Rede ist, die er mit dem Mädchen verbringen will. Und vor allen Dingen bleibt offen, wofür die schöne Maid Zeit haben soll. Das alles wird uns vorenthalten. Wir wissen nur, dass es heute stattfinden soll. Denn der Tony Marshall ist ein gewiefter Fuchs. Er lässt uns zappeln. Er weiß genau, wir wollen mehr wissen, wir bleiben dran und hören zu. Und darum singt er wie unbeabsichtigt:
„Hoja, hoja, ho.“
Macht er sich lustig? Nimmt er das Treffen doch nicht so ernst? Da tun wir ihm sicher unrecht, es scheint ihm doch ernst zu sein.
„Sag bitte ja, dann bin ich nur für dich da.“
Ja, es ist wie ein Flehen. Es ist ihm so wichtig. Hat er sich nicht gerade heute für sie Zeit genommen, wo er eigentlich so viel um die Ohren hat?
„Oh bitte, hoja, hoja, ho.“
Das klingt bedeutungsvoll, fast schon wie ein Hilferuf.
„Schöne Maid, glaub mir so jung wie heut.“
Was soll sie glauben? Dass sie so schnell verblüht?
„Hoja, hoja, ho.“
Bitte, Tony, komm jetzt zur Sache.
„Kommen wir nicht mehr zusammen. Vielleicht ist es schon morgen viel zu spät.“
Das kennen wir auch aus Märchen und Sagen, wenn für zwei Liebende die Zeit abläuft. Ist auch für den Tony die Zeit abgelaufen? Wir hoffen so sehr, dass das Mädchen seine Bitte erhört. Aber dann sind wir erlöst.
“Wir singen tra-la-la und tanzen hopsasa. Wir wollen fröhlich sein und uns des Lebens freun.“
Da dachten wir schon an das Schlimmste, stellten uns womöglich Fatales vor, das dem Mädchen widerfahren könnte. Aber er will nur trallala und hopsasa.
„Wer weiß, wie lange das noch geht. Wer weiß wie lang die Welt sich dreht.“
Warum nur jetzt diese Fragen? Ein junges Mädchen möchte natürlich, dass die Welt sich noch lange dreht.
Dann wiederholt er noch einmal eindringlich seine Bitte an die Maid, Zeit zu haben und ja zu sagen, weil es morgen nicht zu spät, sondern viel zu spät sein könnte.
„Kommen wir nicht mehr zusammen vielleicht.“
Und dann möchte er sie anscheinend aufmuntern, denn er singt annähernd 50-mal:
„La, la, la.“
Dieses La, la, la ist ein durchgängiger Kunstgriff, vornehmlich aus der Schlagerdichtkunst, das die oft unerträgliche Anspannung mildern soll. Der Tony Marshall weiß doch, wie man einem Mädchen die Angst nimmt. Er erklärt ihr, dass die Welt schön sei und dass dies auch jeder sehen müsse.
„Und sind auch Sorgen da, die hat ein jeder ja.“
Sicher hat die auch ein junges Mädchen, meint der Tony. Trotzdem könne man durchaus zufrieden sein, denn da gäbe es ja noch Bier und Schnaps und Wein. In der Vorfreude auf die Verkostung dieser Getränke fasst er noch einmal alles zusammen:
„Schöne Maid, hast du heut für mich Zeit?
Hoja, hoja, ho.
Sag bitte ja, dann bin ich nur für dich da.
Oh bitte, hoja, hoja, ho.
Schöne Maid, glaub mir so jung wie heut.

Hoja, hoja, ho.
Kommen wir nicht mehr zusammen, vielleicht ist es schon morgen viel zu spät.“
Adele von Muggenstein-Mehrlingen meint, diesem Text ist nichts mehr hinzuzufügen. Die „Schöne Maid“ zeigt angehenden Liedermachern, wie mit einfachen, kurzen Sätzen eine Begegnung zweier Menschen aufgezeigt werden kann. Tony Marshall ist eben ein Meister, wenn es darum geht, uns dieses Mysterium einer neu aufkeimenden Liebe vor Augen zu führen. Dabei scheut er sich nicht, die Sorgen des Lebens und auch eventuelle Probleme anzusprechen, die übermäßigen Genuss von Alkohol hervorrufen.
So ist die „Schöne Maid“ eben Poesie in ihrer schönsten Form und trotz einiger Ungereimtheiten schon lange ein Ohrwurm erster Güte.

Lallingers Humor

Das Telefon klingelt.
„Hier bei Lallinger.“
„Ja, Muddler am Apparat, Damian Muddler. Herr Lallinger, ich rufe an wegen Ihres Vorrats an Humor.“
„Wegen welchem Vorrat?“
„Wie ich vernommen habe, werden dieses Jahr bei Ihnen keine Fasnachtsveranstaltungen stattfinden.“
„Ja, und? “
„Da müssen Sie doch jetzt ein Übermaß an Humor haben.“
„Ich weiß immer noch nicht, weshalb Sie anrufen.“
„Also die Sache ist die, ich wäre interessiert.“
„An was?“
„An Ihrem Humor. Ich würde Ihnen gerne etwas von diesem Humor abnehmen.“
„Das ist jetzt aber nicht Ihr Ernst. Ich kann Ihnen doch nicht meinen Humor abtreten.“
„Ich meine auch nicht den gesamten, vielleicht nur ein paar Späßchen. Es ist doch so, dass man im Nachhinein manches gar nicht mehr komisch findet.“
„Und wenn dann die Fasnacht doch stattfindet?“
„Das ist unwahrscheinlich. Schauen Sie, Herr Lallinger, auch der Humor hat ein Verfallsdatum. Das wissen Sie doch so gut wie ich. Schon nächstes Jahr können Ihre Pointen Vergangenheit sein.“
„Das, was Sie sagen, leuchtet mir ein. Aber ich möchte doch noch mal meine Frau Luise fragen, was sie dazu meint.“
Später klingelt das Telefon wieder. Lallinger nimmt ab.
„Hier bei Lallinger.“
„Muddler nochmal. Haben Sie inzwischen mit Ihrer Frau gesprochen?“
„Ja, das habe ich. Also, meine Luise meint, wir hätten nichts zu verschenken. Wenn die Fasnacht wieder nicht stattfindet, werden wir eine gehörige Menge an Humor für uns brauchen. Noch nötiger als im letzten Jahr.“

Letzte Worte 2021

Liebe Leserinnen und Leser,
jetzt habe ich doch tatsächlich gestern meine letzten Worte 2020 noch einmal versehentlich an meine Abonnenten abgeschickt. Da erfahre ich selber, wie schnell sich durch Unachtsamkeit unangemessene Nachrichten verbreiten. Das alte Jahr verabschiedet sich auch bei mir mit Fehlern, was ich bedaure.
Leider wiederholte sich das Jahr und zeigte sich genauso griesgrämig und humorlos wie 2020. So erlebten wir wieder ein unruhiges Jahr, das für nicht wenige eine Zeit voller Unbehagen und Ängste war. Das beeinträchtigt auch mein Schreiben. Da bin auch ich schnell in einer mürrischen Laune, in der man nichts Fruchtbares „aufs Papier“ bringt.
Dennoch konnte ich mich wieder über zahlreiche Besucher freuen, die meine Seiten aufgerufen haben. Ich bedanke mich bei allen, die ihr Interesse an meinen Texten gezeigt haben. Scheuen Sie sich nicht, mein Geschriebenes in einem Kommentar zu beurteilen. Auch dies würde mich freuen und mir sehr helfen.
Am Ende dieses schwierigen Jahres wünsche ich Ihnen allen ein neues Jahr, das weniger sorgenvoll wird. Bleiben Sie gesund und mögen Sie 2022 eine Zeit erleben, die für Sie erfreulicher und heiterer sein wird.
Das wünscht Ihnen von ganzem Herzen
Dieter Beck

Ein Narr will nach oben

Er weiß das natürlich: Diese Insel, auf der er wohnt, ist kein Eiland, wo Leute das Talent eines Künstlers sofort erkennen und diesem die Bühne zu Höherem bereiten, um ihn so zu fördern. Nun hofft er, dass seine Beteiligung an der Fasnacht für ihn das Sprungbrett zu höheren Aufgaben sein möge. Um sich auf seine neue, kreative Tätigkeit vorzubereiten, hat er sogar den Rat seiner Frau angenommen und zwei Seminare bei Camilla von Quittenstein belegt.
Frau von Quittenstein arbeitet nach der Ludwig-Hummel-Methode, einem Psychologen, der noch mit Sigmund Freud befreundet war. Sein Standartwerk „Der Narr im ländlichen Raum“ hat heute noch Gültigkeit. Hummel zeigt sich darin immer wieder als Kenner von Bewohnern einer Insel und beschreibt berührend und auf einfühlsame Weise, wie sensibel und feinsinnig sie sein können.
Edwin Scheule* holt die Haushaltsleiter mit den drei Stufen und stellt sie ins Wohnzimmer. Dann steigt er bedächtig auf die Leiter und bleibt mit beiden Füßen auf der obersten Stufe stehen. In Ermangelung seines neuen Fasnachtsgewands hat er seinen dunkelblauen Anzug aus dem Schrank geholt. Auch die schwarze Schiebermütze ist nur ein Notbehelf. Aber sie bedeckt die Stellen, wo ein starker Haarausfall in den letzten Jahren schlimme Kahlschläge angerichtet hat.
Er hebt seine Arme, breitet sie aus und schaut in die Menge vor sich. Alle jubeln ihm zu. Viele ihm bekannte Gesichter sind darunter. Es scheint ihm, als wäre die gesamte Prominenz dieser Gemeinde gekommen, um ihm zuzuwinken. Ein erhebendes, ein unbeschreibliches Gefühl überfällt ihn. Er sieht den Bürgermeister, den Sparkassendirektor, wie sie zu ihm aufblicken. Sogar der Münsterpfarrer ist mit seiner Haushälterin gekommen.
Dann, als der prunkvolle Elferratswagen fast den Festplatz erreicht, sieht er sogar seine Frau und seine Töchter. Wie stolz sie wohl jetzt auf ihn sein werden.
Scheule hat die Taschen seiner Anzugsjacke mit Konfetti und Bonbons gefüllt. Er schwankt leicht, als er mit beiden Händen in die Taschen greift, um dann die selbstgefertigten Papierschnipsel und die Hustenbonbons ins Wohnzimmer zu werfen.
„Ho Narro“, ruft er den Schaulustigen zu.
„Ho Narro und euch allen eine glückselige Fasnacht.“

*Name geändert, um die Privatsphäre nicht zu beschädigen

Rosalie

Bodo ist ein großer Freund aller elektronischen Neuerungen. So war es nur eine Frage der Zeit, dass auch er sich einen dieser cleveren Sprachassistenten zulegte, der auf Sprachbefehle hört und einem so das alltägliche und auch nächtliche Leben erleichtert, indem er die technischen Dinge, auf die wir nicht mehr verzichten möchten, steuert in einer Art und Weise, die uns erfahren lässt, wie segensreich uns doch die modernen Errungenschaften treu zur Seite stehen und uns dabei immer wieder in großes Staunen versetzen.
„Ich hatte schon längere Zeit die Absicht, meiner Bea und mir diese enorme Hilfe für den Haushalt zu gönnen“, erklärt mir Bodo. „Aber ich wollte noch auf die neue Generation warten, die wirklich mit einem Komfort überrascht, den man sich vor einem halben Jahr bei Alexa nicht vorstellen konnte.“
Bodo zeigt auf ein paar unscheinbare Geräte, die auf dem Sideboard stehen. Auf einem der winzigen Monitore blinkt es ununterbrochen in verschiedenen Farben. Aus zwei silbernen Dosen vernehme ich ein sanftes Rauschen.
„Ich habe mich für Rosalie entschieden. Sie führt nicht nur simple Befehle aus wie etwa die Rollläden zu schließen oder zu öffnen, sondern macht mich auch auf den Sonnenstand aufmerksam und fragt mich, ob ich es bemerkt habe, dass sich im Westen ein Unwetter ankündigt. Wenn es mir recht wäre, würde sie schon mal die Markise aufrollen“, erläutert mir Bodo.
„Selbstverständlich regelt sie nicht nur das Licht im gesamten Haus, sondern kontrolliert auch die Hauseingänge und öffnet rechtzeitigt das Garagentor. Rosalie begrüßt abends mit einer Serenade und kleinen farbigen Lampen in der Hofeinfahrt unsere Gäste, aber nur, wenn wir es für erforderlich halten.
Noch vor zwei Monaten hätten wir diese Alexa bitten müssen, laut zu melden, was im Kühlschrank fehlt, damit wir es notieren können. Heute erwähnt meine Bea nur beiläufig, dass sie noch einkaufen muss. Schon lässt Rosalie die fehlenden Lebensmittel als Einkaufsliste ausdrucken. Diese Auflistung wird ergänzt durch aktuelle Sonderangebote der Lebensmittelhändler und Metzgereien in der Region. Meine Bea ist so froh, dass ihr dieses zeitraubende Suchen in den unzähligen Werbeblättern erspart bleibt. Erst gestern hat uns Rosalie auf die fußbettfreundlichen Gartenschuhe aufmerksam gemacht, die man im örtlichen Raiffeisen-Markt erwerben kann. Bei einer Abnahme von 4 Paaren erhält jeder kostenlos ein Alpenveilchen oder wahlweise eine CD von Peter Maffay.“
„Das ist natürlich für Bea eine enorme Erleichterung“, sage ich.
„Das Bemerkenswerte ist“, schwärmt Bodo, „Rosalie wird dabei nichts zu viel.“ Er spricht tatsächlich wie von einem leibhaftigen Dienstmädchen. Ähnliches Lob und solch eine Begeisterung habe ich von ihm nie gehört, wenn er von seiner Frau redete.
„Erst gestern fragte mich Rosalie, ob sie mich an die Einnahme meiner Medikamente erinnern dürfe, aber nur, wenn es mich nicht belastet, ständig an meine Zucker- und Cholesterinwerte erinnert zu werden. Du wirst es mir nicht glauben, aber ihre Sorge um mein Wohlbefinden hat mich richtig gerührt.“
„Stimmt, ich kann es nicht glauben“, bestätige ich.
„Selbstverständlich musste Rosalie in unseren Alltag eingeführt werden. Dass dies nicht so einfach war, erfuhren wir durch meinen Freund Fritz, der sich 4 Tage Zeit nahm, um mit einem sehr speziellen Programm allein die Grundvoraussetzungen zu schaffen, dass Rosalie ihren Dienst bei uns aufnehmen konnte. Diese Programme“, erklärt er mir, „beinhalten Prognosen, Diagnosen, orientieren sich an Wahrscheinlichkeitsrechnungen und Algorithmen, sind gekoppelt an Erfahrungsmuster, die wiederum sich eng an Versuch und Irrtum orientieren, wobei sich das Programm, allerdings ein bisschen laienhaft ausgedrückt, fortlaufend auf einer zweiten Ebene korrigiert.
Dazu mussten wir allerdings viel von unseren Gewohnheiten preisgeben, was mir und auch Bea schon ein bisschen peinlich war, besonders vor Rosalie. Mein Freund Fritz wusste ja schon etliches von uns.“
„Das kann ich mir gut vorstellen“, sage ich.
„Mein Programm, wenn ich dann mit Rosalie verheiratet bin, wie ich das immer scherzhaft nenne, wird keinen Fehler zweimal machen. Und Rosalie auch nicht“, begeistert er sich.
Ich will gerade erwähnen, dass man auch neue Fehler machen kann, halte aber lieber meine Meinung zurück.
„Es ist aber auch nicht immer so einfach. Angenommen, wir bekommen am Samstag Gäste, und Rosalie soll uns Vorschläge für ein Menü unterbreiten. Einer der Gäste mag kein Fleisch, ein anderer ekelt sich vor Fisch. Vivien, eine Freundin von Bea, reagiert mit einer heftigen Unverträglichkeitsstörung beim Verzehr von Gewächshausgemüsen. Wenn wir Freddy einladen, sieht er die Menschheit untergehen allein, weil sie Soßen isst.
Diese Problematik von Lebensmittelauswahl, Speisenzubereitung wie auch Harmonie und Verträglichkeit war selbst für meinen Freund Fritz neu und eine enorme Herausforderung. Aber Fritz ist einer der besten Programmierer. Aufgeben gibt’s bei ihm schon gar nicht. Nachdem er im Mai zwei Wochen bei uns wohnte, konnte Rosalie nicht nur Vorschläge machen, sondern auch Herkunft und Inhaltsstoffe erklären sowie Speisekarten ausdrucken, dass es einem Vier-Sterne-Koch vor Neid die Blässe ins Gesicht getrieben hätte.“
„Da hast du aber Glück, dass Fritz sich mit Rosalie so gut versteht“, meine ich.
„Am Anfang mussten wir uns allerdings an die ständigen Anweisungen gewöhnen. Gerade Bea ist da sehr empfindlich. Sie kann es nicht leiden, dass sie ermahnt wird.“.
„Ja, mit Tadel können manche Frauen schlecht umgehen“, sage ich und bedaure im selben Moment meine Äußerung. Aber Bodo geht nicht darauf ein.
„Wir haben ja auch – nur jetzt als Beispiel – diese neuartigen Matratzen, in denen winzige Sensoren eingearbeitet sind. Rosalie meldet dann spaßhaft zu viel Verkehr im Schlafzimmer. Sie meint damit aber die Milben. Vor Kurzem meldete sie dieses fröhlich vom Sideboard just, als daneben unsere Gäste am Esstisch saßen. Ich kann dir nicht sagen, wie peinlich das Bea war. Ich glaube, es hätte die Situation auch nicht mehr gerettet, wenn ich beim Essen etwas von unserer komfortablen Milbenmatratze erzählt hätte. Aber Fritz tröstete mich, dass das doch wirklich nur Kleinigkeiten seien, die passieren könnten.“
In diesem Moment ertönt ein leichtes Schnurren. Bodo schaut fast erschreckt auf den kleinen Monitor, wo eine neue Nachricht aufleuchtet: „Geranien wässern! Dünger beim Raiffeisen-Markt bestellen!“ Nach dieser Meldung ertönt ein paar Minuten Musik. Das legt die Aufregung. Anscheinend hat Rosalie eine Schwäche für Sängerinnen aus einer Alpenregion, denn wir vernehmen: „Wo‘s Edelweiß blüht am Klammenstein…“.
Eine Weile lauschen wir dem Gesang. Bei der zweiten Strophe, wo scheinbar ein Wilderer zu Tode kommt, führt mich Bodo in seine Küche. Selbst einem Laien wie mir verschlägt es die Sprache ob dieser Ausstattung. Auf den ersten Blick sehe ich einen Toaster, zwei Entsafter, drei Rührgeräte, eine professionelle Teig- und Nudelmaschine, zwei Waagen sowie eine Mikrowelle. Riesige Messer liegen neben einem Holzblock, der offensichtlich zum Bearbeiten großer Fleischstücke dient.
„Natürlich mussten wir in einen neuen Kühlschrank und in einen neuen Herd investieren. Auch eine neue Küchenmaschine war vonnöten. Wir hatten ja noch diesen Thermomix, der Bea schon Schwierigkeiten bereitete. Auch Rosalie konnte mit diesen Geräten einfach nicht kommunizieren, ein sicheres Zeichen, dass sie veraltet waren. Wie oft haben wir früher das Haltbarkeitsdatum missachtet, sodass uns viele Lebensmittel vergammelt sind. Wie oft hat Bea ihre Lieblingsserie „Liebe im Wind“ versäumt nur, weil sie zu spät daran gedacht hat. Jetzt wird sie rechtzeitig auf die Zeiten der Ausstrahlung einschließlich der Wiederholungen aufmerksam gemacht. Ich meine, alles in allem haben sich diese Anschaffungen dann doch wieder gelohnt.“
„Das kann ich mir gut vorstellen. Rosalie muss eine enorme Hilfe sein – gerade für Bea.“
„Das freut mich jetzt aber.“ Bodo strahlt über das ganze Gesicht. „Dass du das auch so siehst, das hätte ich jetzt nicht erwartet. Ich kann nur jedem empfehlen, auch so eine Hilfe anzuschaffen.“
Ich könnte jetzt Bodo sagen, dieses auf der Stelle zu tun, wenn ich nicht schon rundum von einem fantastischen Wesen betreut würde, das ich Dorothe nenne. Was Rosalie bestimmt nicht kann, ist so hervorragend zu kochen, zu waschen und zu bügeln, mit Liebe unseren Garten zu pflegen und mir auch sonst noch ein paar Wünsche zu erfüllen, um die man Rosalie vergeblich bitten würde.
Wir sind über 40 Jahre verheiratet, und ich habe noch nie daran gedacht, sie gegen eine neue Generation auszutauschen. Was Dorothe aber von allen anderen Geschöpfen unterscheidet, ist die Tatsache, dass sie mich noch immer liebt.
Von all diesen Gedanken erzähle ich Bodo nichts.
Ich glaube, mit Bea und Rosalie ist Bodo ganz gut bedient.

Marta

Die Tragödie begann, als Marta einem Verbrechen zum Opfer fiel. Sie hing an einem Ast des großen Apfelbaums, der inmitten des Gartens stand. Ihre Füße streckte sie in den Morgenhimmel, und aus ihrem Hals, der nach unten baumelte, tropfte noch ein Rest von Blut.
Obwohl der Kopf fehlte, wusste Albert sofort, wer da bei Tagesanbruch gemeuchelt wurde, und er spürte einen heftigen Stich in seiner Brust. Es war seine Lieblingshenne Marta, sein über alles geliebtes Brahmahuhn. In welchem Zustand mochten sich seine anderen Tiere befinden? Und wo?
Er lief zu seinem Hühnerhaus. In der Nacht befanden sich alle Hühner immer in einem sicheren Stall, einem isolierten Holzhaus mit einem Bitumenschindeldach, das seinen 14 Tieren auch über längere Zeit genügend Platz bot. Es war stets verriegelt und mit einem Schloss gesichert. Die Tür, das sah Albert sofort, war nicht aufgebrochen und das Zahlenschloss nicht beschädigt. Er wählte den Code und öffnete die Tür. Alle seine Hennen waren auf den ersten Blick noch vollzählig, und sein prächtiger Hahn stolzierte, wenn auch aufgescheucht, doch unversehrt herum.
Und dann sah er Marta. Es gab keinen Zweifel, sie war da und lebte. Weil er noch in der Tür stand, brauchte er nur einen Schritt zurückzutreten, um in den Garten zu schauen, wo der Apfelbaum stand. Da hing keines seiner Hühner im Geäst. Da hing überhaupt nichts.

Als Lina in die Küche kam, um das Frühstück zu machen, und wie beiläufig durch das Fenster schaute, sah sie Albert, ihren Mann, im Schlafanzug im Garten stehen, wo er fast regungslos auf den Apfelbaum starrte. Erschrocken nahm sie noch schnell die kochende Milch von der Herdplatte, lief aus dem Haus über den Rasen auf ihren Mann zu, der immer noch mit halboffenem Mund in den Baum starrte.
„Albert“, flüsterte sie, „was machst du denn so früh im Garten?“
„Ich dachte, sie hätten Marta getötet. Ich habe sie ganz deutlich gesehen, wie sie an diesem Ast hing. Aber ohne Kopf! Aber sie ist unversehrt.“
„Albert, wer ist denn diese Marta?“
„Wie kannst du nur so etwas fragen? Du kennst doch meine Marta, meine Lieblingshenne, die schönste von allen.“ Jetzt drehte sich Albert um und schaute an seiner Frau vorbei zur Gartenhecke.
„Doch sie ist bei den anderen. Siehst du, sie sind alle noch im Stall. Ich muss sie nachher gleich füttern.“
„Aber erst nach dem Frühstück.“ Lina nahm ihren Mann, der barfuß auf dem feuchten Gras stand und schlotterte, bei der Hand und führte ihn zurück ins Haus.
„Darf ich heute einmal deine Hühner füttern?“
Lina hatte den Frühstückstisch abgeräumt, und ihr Mann saß wie in Gedanken verloren auf seinem Stuhl.
„Was für Hühner?“, fragte Albert. „Ich hatte doch noch nie Hühner.“
„Es war ein Spaß“, sagte Lina. „Es war nur ein Spaß.“
Schnell ging sie aus der Küche, damit Albert nicht sehen konnte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. Aber das Schlimmste war, er würde es nicht verstehen, dass sie jetzt weinte.

Narren allein zu Haus – Korbinian Huber

Korbinian Huber im Alter von 3 Wochen

Wie wir auf dem Bild* sehen, ist dem Korbinian Huber die Fasnacht ja schon in die Wiege gelegt worden.

Dies war für alle, die den Kleinen besuchten und ihn einmal sehen wollten, ein ungewohnter Anblick. Der Eifer, mit dem die Eltern sein Bettchen und das Kinderzimmer schmückten, war so enorm, dass man den kleinen Korbinian ob der reichhaltigen Dekoration erst auf den zweiten Blick erblickte.
„Wir möchten“, sagten Hedi und Franz Huber, „dass unser Sohn einmal das Erbe weiterführt. Wir sind auf der Reichenau eine alteingesessene Familie, die dem örtlichen Brauchtum schon immer verpflichtet ist. Und unser Sohn soll so früh wie möglich spüren, dass dieses Erbe nicht nur Freude, sondern auch Bürde sein kann. Mag diese Dekoration für manche zu üppig erscheinen, für unseren Korbinian soll es heute schon bedeuten, dass es einem in den närrischen Tagen nie zu viel werden darf. Franz, sag doch auch mal was.“
„Genau, auch mir wurde schon was ins Bettchen gelegt.“
Hedi Huber hatte gleich nach der Geburt für alle Besucher nicht nur den Stammbaum der Familie, sondern auch viele Bilder und Fotoalben bereitgelegt. „Hier mein Urgroßvater Karl mütterlicherseits, ein begnadeter Glühweinabschmecker, und es gab während der ganzen Jahre nur zwei Vergiftungen“, erklärt die Hedi aufgeregt. „Oder hier, schau mal, unsere Großtante Augusta.“ Das vergilbte Bildchen zeigt ein sehr molliges Mädchen mit einem etwas mürrischen Gesichtsausdruck. „Sie war das erste Tanzmariechen auf der Reichenau. Sie hatte viele Verehrer. Das glaubt man gar nicht, aber das Bild ist ja auch in schwarz-weiß.“
„Früher war man halt noch mit dem zufrieden, was man hatte“, sagt der Franz. „Unser erster Narrenbaum war gerade mal 6 Meter hoch, und bei der ersten Elferratssitzung gab es eine Schlägerei. Wenn man bedenkt, wie die Sitzungen heute immer so harmonisch ablaufen, kann man das gar nicht glauben.“
Was diese Familie an Brauchtumspflegern und Persönlichkeiten der heimischen Fasnacht aufzuweisen hat, ist schon beeindruckend. Nicht weniger als siebenmal stellten sie den Narrenpräsidenten, zwölf Frauen wurden vom Fasnachtsverband ausgezeichnet, weil sie die schönsten Puppen für die Verbrennung der Fasnacht gestalteten.
„Der Hubert, ein Bruder von meinem Urgroßvater Kornelius, war ja der Erfinder des heutigen Weckerwagens“, meint der Franz. „Diese ersten Wagen muss man sich natürlich noch etwas einfach in ihrer Ausführung vorstellen anno 1897. Der Hubert musste einen Waschkessel zu einer Trommel umbauen, und sein Bruder spielte Blockflöte. Bis sie mit dem Heuwagen richtig loszogen, war es schon halb neun, und die meisten Reichenauer brauchten auch nicht mehr geweckt werden. Aber es war etwas Besonderes, und wie wir sehen, hat der Weckerwagen noch heute seinen festen Platz in der reichenauer Fasnacht.“
„Und in unserer Familie auch“, sagt die Hedi stolz, „und darum haben wir für den Korbinian schon einen stattlichen Hänger bestellt. Er soll sich ja vor seinen Vereinskameraden nicht blamieren müssen.“
Die Patentante, eine Böhler, steht vor der Wiege und schnuppert: „Aber in die Hose scheißt er sich halt doch noch wie alle Hubers. Das bleibt bei euch auch Tradition.“

*Die feinfühlige Darstellung der Wiege des Korbinian Huber wurde vom bekannten Maler und Fotografen Didi Becconi nachempfunden. Die Dekoration weicht vom Original ab, da es dem Künstler widerstrebte, ein Neugeborenes dermaßen einzumüllen.

Narren allein zu Haus – Johann Eichenwegler

Am nächsten Tag im Februar erreicht die närrischen reichenauer Mitbürgerinnen und Mitbürger diese wichtige Benachrichtigung:
Bis der Engpass von Luftschlangen behoben ist, können im Gärtner-Center am Samenschalter Nudelmaschinen ausgeliehen werden. Es ist eine Aktion, die der amtierende Wassermeister der Beregnungsgenossenschaft Johann Eichenwegler* auf privater Ebene gestartet hat.
Der Narrenverein bedankt sich für das Engagement vom Johann ebenso wie für den guten Ratschlag von der Waltraut. Auf so erfahrene echte Narren kann man sich halt immer verlassen.

*Der richtige Name ist dem Autor bekannt, wird aber aus Sicherheitsgründen nicht genannt.

Narren allein zu Haus – Waltraut Fröhlich

An einem trostlos verregneten Tag im Februar schreibt Waltraut Fröhlich, ein Gründungsmitglied der legendären Nixengarde:
„Hallo ihr Lieben, da ich mich auch an der „home-decoration“ beteilige und im schönen Freudental fleißig am Ausschmücken meiner Wohnung bin, möchte ich mit einem einfachen Tipp zur Behebung des Luftschlangenengpasses beitragen. Schon viele Jahre benütze ich die Nudelmaschine meiner verstorbenen Tante, um mit ihr Luftschlangen herzustellen. Ich drehe buntes Bastelpapier, aber auch alte Illustrierte durch die Maschine und bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Nur die „Ausbeute“ mit der heimischen Tageszeitung erscheint mir etwas farblos.
Viel Spaß und Ho Narro.

Anmerkung für junge Narren: Die oben erwähnte Maschine arbeitet noch „händisch“, eine digitale Steuerung ist nicht erforderlich. Ein Ladegerät entfällt bei ihr ebenfalls.

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