Die Tragödie begann, als Marta einem Verbrechen zum Opfer fiel. Sie hing an einem Ast des großen Apfelbaums, der inmitten des Gartens stand. Ihre Füße streckte sie in den Morgenhimmel, und aus ihrem Hals, der nach unten baumelte, tropfte noch ein Rest von Blut.
Obwohl der Kopf fehlte, wusste Albert sofort, wer da bei Tagesanbruch gemeuchelt wurde, und er spürte einen heftigen Stich in seiner Brust. Es war seine Lieblingshenne Marta, sein über alles geliebtes Brahmahuhn. In welchem Zustand mochten sich seine anderen Tiere befinden? Und wo?
Er lief zu seinem Hühnerhaus. In der Nacht befanden sich alle Hühner immer in einem sicheren Stall, einem isolierten Holzhaus mit einem Bitumenschindeldach, das seinen 14 Tieren auch über längere Zeit genügend Platz bot. Es war stets verriegelt und mit einem Schloss gesichert. Die Tür, das sah Albert sofort, war nicht aufgebrochen und das Zahlenschloss nicht beschädigt. Er wählte den Code und öffnete die Tür. Alle seine Hennen waren auf den ersten Blick noch vollzählig, und sein prächtiger Hahn stolzierte, wenn auch aufgescheucht, doch unversehrt herum.
Und dann sah er Marta. Es gab keinen Zweifel, sie war da und lebte. Weil er noch in der Tür stand, brauchte er nur einen Schritt zurückzutreten, um in den Garten zu schauen, wo der Apfelbaum stand. Da hing keines seiner Hühner im Geäst. Da hing überhaupt nichts.

Als Lina in die Küche kam, um das Frühstück zu machen, und wie beiläufig durch das Fenster schaute, sah sie Albert, ihren Mann, im Schlafanzug im Garten stehen, wo er fast regungslos auf den Apfelbaum starrte. Erschrocken nahm sie noch schnell die kochende Milch von der Herdplatte, lief aus dem Haus über den Rasen auf ihren Mann zu, der immer noch mit halboffenem Mund in den Baum starrte.
„Albert“, flüsterte sie, „was machst du denn so früh im Garten?“
„Ich dachte, sie hätten Marta getötet. Ich habe sie ganz deutlich gesehen, wie sie an diesem Ast hing. Aber ohne Kopf! Aber sie ist unversehrt.“
„Albert, wer ist denn diese Marta?“
„Wie kannst du nur so etwas fragen? Du kennst doch meine Marta, meine Lieblingshenne, die schönste von allen.“ Jetzt drehte sich Albert um und schaute an seiner Frau vorbei zur Gartenhecke.
„Doch sie ist bei den anderen. Siehst du, sie sind alle noch im Stall. Ich muss sie nachher gleich füttern.“
„Aber erst nach dem Frühstück.“ Lina nahm ihren Mann, der barfuß auf dem feuchten Gras stand und schlotterte, bei der Hand und führte ihn zurück ins Haus.
„Darf ich heute einmal deine Hühner füttern?“
Lina hatte den Frühstückstisch abgeräumt, und ihr Mann saß wie in Gedanken verloren auf seinem Stuhl.
„Was für Hühner?“, fragte Albert. „Ich hatte doch noch nie Hühner.“
„Es war ein Spaß“, sagte Lina. „Es war nur ein Spaß.“
Schnell ging sie aus der Küche, damit Albert nicht sehen konnte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. Aber das Schlimmste war, er würde es nicht verstehen, dass sie jetzt weinte.

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