Die Zeit ist wieder reif, in der junge Liedermacher sowie alte Hasen in diesem Gewerbe mit mehr oder weniger Sachverstand, aber allem nötigen Ernst sich bemühen, ein allseits beliebtes Fasnachtslied, wenn möglich einen sogenannten Ohrwurm, zu verfassen oder fertig zu stellen.
Die bekannte Psychologin Adele von Muggenstein-Mehrlingen gibt dazu Ratschläge und Anregungen, die zum Gelingen eines ohrgefälligen Fasnachtsliedes beitragen. In ihrem Buch „Wer dichtet so spät noch?“ wendet sie sich gleich im ersten Kapitel an verantwortungsbewusste Reimeschreiber: „Die Texte dürfen den Endverbraucher nicht zu lange mit einer verwirrenden Poesie in eine negative Nachdenklichkeit zwingen. Die Lieder müssen den Konsumenten mit einem lebensbejahenden Inhalt erreichen und ihn in eine positive Stimmung versetzen.“
So taucht Frau von Muggenstein-Mehrlingen im zweiten Kapitel auch gleich tief in die Welt des Schlagers ein, um anhand von verständlichen Beispielen aufzuzeigen, weshalb mancher Schlager allein durch seinen hoffnungsfreudigen Text zu einem allseits beliebten Ohrenschmeichler geworden ist. Adele von Muggenstein-Mehrlingen greift aus der Fülle von Schlagertexten ganz bewusst das Lied „Schöne Maid“ gesungen von Tony Marshall heraus und erläutert, weshalb dieser Text so bekannt ist und unter Fachleuten aus der Musikwelt bewundert wird. Schon im ersten Satz, meint Frau von Muggenstein, kann eine alles entscheidende Frage stehen, die uns in den Bann zieht.
Tony Marshall singt:
„Schöne Maid, hast du heut für mich Zeit?“
Hier ist von einem jungen, hübschen Mädchen die Rede, bei der höflich angefragt wird, ob sie Zeit hätte. Und da ist er, dieser erste Satz, der Spannung erzeugt. Das ist gekonnt gemacht. Wir wissen nicht, wie das Mädchen heißt. Wir wüssten gerne, wie alt es ist, und wo er es gesehen hat. Auch wissen wir noch nicht, von welcher Zeitspanne hier die Rede ist, die er mit dem Mädchen verbringen will. Und vor allen Dingen bleibt offen, wofür die schöne Maid Zeit haben soll. Das alles wird uns vorenthalten. Wir wissen nur, dass es heute stattfinden soll. Denn der Tony Marshall ist ein gewiefter Fuchs. Er lässt uns zappeln. Er weiß genau, wir wollen mehr wissen, wir bleiben dran und hören zu. Und darum singt er wie unbeabsichtigt:
„Hoja, hoja, ho.“
Macht er sich lustig? Nimmt er das Treffen doch nicht so ernst? Da tun wir ihm sicher unrecht, es scheint ihm doch ernst zu sein.
„Sag bitte ja, dann bin ich nur für dich da.“
Ja, es ist wie ein Flehen. Es ist ihm so wichtig. Hat er sich nicht gerade heute für sie Zeit genommen, wo er eigentlich so viel um die Ohren hat?
„Oh bitte, hoja, hoja, ho.“
Das klingt bedeutungsvoll, fast schon wie ein Hilferuf.
„Schöne Maid, glaub mir so jung wie heut.“
Was soll sie glauben? Dass sie so schnell verblüht?
„Hoja, hoja, ho.“
Bitte, Tony, komm jetzt zur Sache.
„Kommen wir nicht mehr zusammen. Vielleicht ist es schon morgen viel zu spät.“
Das kennen wir auch aus Märchen und Sagen, wenn für zwei Liebende die Zeit abläuft. Ist auch für den Tony die Zeit abgelaufen? Wir hoffen so sehr, dass das Mädchen seine Bitte erhört. Aber dann sind wir erlöst.
“Wir singen tra-la-la und tanzen hopsasa. Wir wollen fröhlich sein und uns des Lebens freun.“
Da dachten wir schon an das Schlimmste, stellten uns womöglich Fatales vor, das dem Mädchen widerfahren könnte. Aber er will nur trallala und hopsasa.
„Wer weiß, wie lange das noch geht. Wer weiß wie lang die Welt sich dreht.“
Warum nur jetzt diese Fragen? Ein junges Mädchen möchte natürlich, dass die Welt sich noch lange dreht.
Dann wiederholt er noch einmal eindringlich seine Bitte an die Maid, Zeit zu haben und ja zu sagen, weil es morgen nicht zu spät, sondern viel zu spät sein könnte.
„Kommen wir nicht mehr zusammen vielleicht.“
Und dann möchte er sie anscheinend aufmuntern, denn er singt annähernd 50-mal:
„La, la, la.“
Dieses La, la, la ist ein durchgängiger Kunstgriff, vornehmlich aus der Schlagerdichtkunst, das die oft unerträgliche Anspannung mildern soll. Der Tony Marshall weiß doch, wie man einem Mädchen die Angst nimmt. Er erklärt ihr, dass die Welt schön sei und dass dies auch jeder sehen müsse.
„Und sind auch Sorgen da, die hat ein jeder ja.“
Sicher hat die auch ein junges Mädchen, meint der Tony. Trotzdem könne man durchaus zufrieden sein, denn da gäbe es ja noch Bier und Schnaps und Wein. In der Vorfreude auf die Verkostung dieser Getränke fasst er noch einmal alles zusammen:
„Schöne Maid, hast du heut für mich Zeit?
Hoja, hoja, ho.
Sag bitte ja, dann bin ich nur für dich da.
Oh bitte, hoja, hoja, ho.
Schöne Maid, glaub mir so jung wie heut.

Hoja, hoja, ho.
Kommen wir nicht mehr zusammen, vielleicht ist es schon morgen viel zu spät.“
Adele von Muggenstein-Mehrlingen meint, diesem Text ist nichts mehr hinzuzufügen. Die „Schöne Maid“ zeigt angehenden Liedermachern, wie mit einfachen, kurzen Sätzen eine Begegnung zweier Menschen aufgezeigt werden kann. Tony Marshall ist eben ein Meister, wenn es darum geht, uns dieses Mysterium einer neu aufkeimenden Liebe vor Augen zu führen. Dabei scheut er sich nicht, die Sorgen des Lebens und auch eventuelle Probleme anzusprechen, die übermäßigen Genuss von Alkohol hervorrufen.
So ist die „Schöne Maid“ eben Poesie in ihrer schönsten Form und trotz einiger Ungereimtheiten schon lange ein Ohrwurm erster Güte.

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