Er weiß das natürlich: Diese Insel, auf der er wohnt, ist kein Eiland, wo Leute das Talent eines Künstlers sofort erkennen und diesem die Bühne zu Höherem bereiten, um ihn so zu fördern. Nun hofft er, dass seine Beteiligung an der Fasnacht für ihn das Sprungbrett zu höheren Aufgaben sein möge. Um sich auf seine neue, kreative Tätigkeit vorzubereiten, hat er sogar den Rat seiner Frau angenommen und zwei Seminare bei Camilla von Quittenstein belegt.
Frau von Quittenstein arbeitet nach der Ludwig-Hummel-Methode, einem Psychologen, der noch mit Sigmund Freud befreundet war. Sein Standartwerk „Der Narr im ländlichen Raum“ hat heute noch Gültigkeit. Hummel zeigt sich darin immer wieder als Kenner von Bewohnern einer Insel und beschreibt berührend und auf einfühlsame Weise, wie sensibel und feinsinnig sie sein können.
Edwin Scheule* holt die Haushaltsleiter mit den drei Stufen und stellt sie ins Wohnzimmer. Dann steigt er bedächtig auf die Leiter und bleibt mit beiden Füßen auf der obersten Stufe stehen. In Ermangelung seines neuen Fasnachtsgewands hat er seinen dunkelblauen Anzug aus dem Schrank geholt. Auch die schwarze Schiebermütze ist nur ein Notbehelf. Aber sie bedeckt die Stellen, wo ein starker Haarausfall in den letzten Jahren schlimme Kahlschläge angerichtet hat.
Er hebt seine Arme, breitet sie aus und schaut in die Menge vor sich. Alle jubeln ihm zu. Viele ihm bekannte Gesichter sind darunter. Es scheint ihm, als wäre die gesamte Prominenz dieser Gemeinde gekommen, um ihm zuzuwinken. Ein erhebendes, ein unbeschreibliches Gefühl überfällt ihn. Er sieht den Bürgermeister, den Sparkassendirektor, wie sie zu ihm aufblicken. Sogar der Münsterpfarrer ist mit seiner Haushälterin gekommen.
Dann, als der prunkvolle Elferratswagen fast den Festplatz erreicht, sieht er sogar seine Frau und seine Töchter. Wie stolz sie wohl jetzt auf ihn sein werden.
Scheule hat die Taschen seiner Anzugsjacke mit Konfetti und Bonbons gefüllt. Er schwankt leicht, als er mit beiden Händen in die Taschen greift, um dann die selbstgefertigten Papierschnipsel und die Hustenbonbons ins Wohnzimmer zu werfen.
„Ho Narro“, ruft er den Schaulustigen zu.
„Ho Narro und euch allen eine glückselige Fasnacht.“
*Name geändert, um die Privatsphäre nicht zu beschädigen
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