Autor: Dieter Beck (Seite 4 von 6)

Narren allein zu Haus

Es war mir nicht nur eine Freude, sondern es erfüllte mich auch mit Stolz, von reichenauer Närrinnen und Narren zu erfahren, wie sie sich auf eine Fasnacht vorbereiten oder vorbereitet haben, die nicht stattfindet. Überraschenderweise gaben sie mir die Erlaubnis, aus ihren Erfahrungen und Aktivitäten zu berichten und sie auch wörtlich zu zitieren.
Da mich die Gespräche sehr berührten und mir bewusst wurde, welche Einzelschicksale mir anvertraut wurden, war es für mich ein persönliches Anliegen, die Namen der Personen zu ändern, um wenigstens noch ein bisschen Privatsphäre zu bewahren. Sollten sich einige dennoch wiedererkennen oder von anderen erkannt werden, liegt es an der Tatsache, dass Persönlichkeiten, die durch ihre betriebsame Tätigkeit im öffentlichen Raum bekannt sind, selbstverständlich nicht durch eine simple Namensänderung vollständig unkenntlich gemacht werden können.

Eine entsetzliche Unruhe liegt über dem Land. Warum wohl? Kann man sagen, dass etwas geschieht, obwohl es nicht stattfindet? Oder ist es eher so, man weiß, dass etwas nicht stattfindet, weiß aber nicht, was stattdessen geschehen soll? Oh, wie viele sind aus dem Häuschen, obwohl sie das selbige nicht verlassen dürfen. Denn auch eine Fasnacht, die nicht genossen werden kann, wird ihre Nebenwirkungen zeigen. Ja, so wird es sein. Die Tagebuchaufzeichnungen zeugen davon. Der Gedanke an die Fasnacht macht viele unruhig.

Mit einem Ho Narro bis morgen

Letzte Worte 2020

Am Ende des Jahres möchte ich mich bei allen bedanken, die meine Texte aufgerufen und gelesen haben.
Beim Schreiben habe ich mich oft gefragt, ob der Humor – mein Humor – in dieser Zeit überhaupt angebracht ist. Ich finde, er war noch nie so nötig wie in diesem Jahr, und ich bin davon überzeugt, dass Lachen dem Wohlbefinden nur nützlich sein kann, Balsam für die Seele in einer so schweren Zeit.
Meinen Leserinnen und Lesern und allen, die noch dazukommen, wünsche ich ein neues und gutes Jahr im besten Sinne. Möge es weniger sorgenvoll sein, nicht so viel Angst einflößend und mit der Gewissheit, dass wir uns wieder, ohne einander zu gefährden, begegnen können. Begegnungen, bei denen wir frei und ungezwungen miteinander reden, ohne Abstand, der allen ein Unbehagen bereitet, um dann auch wieder unsere Feste zu feiern, wie wir es gewohnt waren.

Das wünscht Ihnen von ganzem Herzen
Dieter Beck

Liebe Tante Annemie,

sicher hast Du Dich für die kommenden Festtage schon rechtzeitig und in aller Ruhe vorbereitet. Das Besorgen in letzter Minute, ich weiß, das konntest Du schon früher nicht leiden. Jetzt muss ich wieder oft an Deine herrlich geschmückten Christbäume denken, an Deine unendliche Geduld, mit der Du die Zweige mit vielen selbstgebastelten Dingen verziert hast. Aber glaub mir, Tante Annemie, mit einem der Bäume, die wir dieses Jahr von der Gemeinde zum Weihnachtsfest bekommen haben, könnte sogar Deine Geduld ihre Grenzen zeigen.
Vielleicht kannst Du Dich noch daran erinnern? So etwa eineinhalb Wochen vor dem Heiligen Abend werden die kommunalen Nadelgewächse neben dem Rathaus und die Bevölkerung hinter einem Schlagbaum aufgestellt. Tante Annemie, Du kannst Dir gar nicht vorstellen, was sich da abspielt, wenn Punkt 13.30 Uhr die Sperre geöffnet wird. Da gilt es standfest zu sein, wenn so viele Insulaner auf diesem großen Weihnachtsbaum-Wühltisch mit der Auslese beginnen. Zu dieser Aktion werden Familienangehörige abgesandt, die Erfahrung und ein geschultes Auge mitbringen und außerdem zupacken können. Doch selbst solch erfahrene Leute sah ich mit tiefer Unentschlossenheit vor dem diesjährigen Angebot stehen. Als ich meinen Baum fand, anscheinend wollte ihn kein anderer, da habe ich ihn ganz fest an mich gedrückt, weißt Du Tante Annemie, so wie ein verwachsenes Kind, das ja nichts dafürkann, und das man trotzdem liebhat. Besonders an Weihnachten!
Sehr früh anstehen musste man in der Vorweihnachtszeit auch wieder für Karten der Winterkonzerte des Unterhaltungsorchesters im Januar. Das heißt, wenn man den Termin nicht verschlafen hat so wie ich.
Auf dem Weihnachtsmarkt im Klosterhof habe ich Axel getroffen. Er macht sich ja sehr stark für den Fremdenverkehr auf der Reichenau. Ich schicke Dir die Werbe-Broschüre „Urlaub machen im eigenen Land“ mit, die er erarbeitet hat. In den Weihnachtsferien fliegt er ja jetzt mit seiner Familie in die Karibik.
Eine Edeltanne, Konzertkarten, Karibik, was soll’s. Wird dadurch das Fest festlicher? Ich glaube nicht.
Eine feierliche und besinnliche Zeit wünscht Dir
Dein Neffe Dieter

Veröffentlicht 1995

Zum Nikolaustag 2020

Lieber guter Nikolaus,
komm zu uns – doch nur vors Haus!
Darfst nicht in die engen Stuben
zu den Mädchen und den Buben
oder zu den alten Leuten,
die im Altenheim sich freuten.
Kannst dich auch, ich mag es leiden,
dich als Weihnachtsmann verkleiden.
Außerdem möcht ich dich bitten,
komm doch mit dem Rentierschlitten
und bring gleich, wir warten schon,
die Päckchen mit von Amazon.
Du brauchst dich heute nicht im engen
Hauskamin nach unten zwängen.
Und weil es ist ein alter Brauch,
kommt der Ruprecht leider auch.
Sagt, er käm vom Walde her,
trägt an seinem Sack sehr schwer.
Hören wir ein Glöcklein klingen?
Hören wir die Englein singen?
Nein, es kommt mit Sack und Pack
der Coca-Cola-Weihnachtstruck.
Ach, wie die Kinderaugen leuchten,
die der Erwachsenen sich befeuchten.
Wisst ihr noch wie‘s früher war
mit der ganzen Kinderschar,
Oma, Opa, Onkel, Tante
und noch weit‘re Anverwandte?
Waren alle ganz gespannt,
der Adventskranz hat gebrannt.
Opa rauchte eine Pfeife.
Oma roch ganz fein nach Seife.
Klein-Lieschen saß noch auf dem Topf.
Onkel Sepp mit rotem Kopf
lobt den Wein, den Hefezopf,
lobt Tante Grete ganz entzückt
und hat drei Scheiben schon verdrückt,
lobt nebenbei das saub‘re Haus.
Wo bleibt nur der Nikolaus?
Nachbar Fritz, der auch geladen,
sagt: Ein Speck könnt jetzt nicht schaden.
Habt ihr sonst noch was im Haus?
Wo bleibt nur der Nikolaus?
Man brauchte keinen Rentierschlitten,
den Niklaus musste niemand bitten.
Nix mit Coca-Cola-Mann!
Schaut euch mal die Sippschaft an,
wie sie festen – ungeniert
wird auch noch der Schnaps probiert.
Niklaus ist ein guter Mann,
fängt Oma jetzt zu singen an.
Hansi sagt: Ich will nicht nölen,
doch Oma muss die Stimme ölen.
Opa meint nur, stellt euch vor,
so sang sie auch im Kirchenchor.
Der Magd Emma ist nach Schmusen,
Franz, der Knecht, kann‘s nicht verknusen.
Die Patentante sieht‘s verträumt
und denkt: Was hab ich nur versäumt?
Lasst uns froh und munter sein,
singt Oma jetzt, doch ganz allein.
Mutter und Vater schau ‘n beklommen.
Jetzt könnt der Heilige endlich kommen.
Kinder, singt das Lied von den Schafen,
doch diese sind schon eingeschlafen.
Jetzt hören sie den Karo bellen,
zugleich ein Rufen und ein Schellen.
Emma, die Magd, geht vor das Haus
und ruft: Es ist der Nikolaus,
Knecht Ruprecht auch, sie sind zu dritt,
sie bringen noch den Pfarrer mit!

Das neue Bett

Eines Tages geschah es, dass ein Einwohner einer kleinen Gemeinde der Verwaltung die Idee vortrug, dem Dorfbach ein neues Bett zu geben. Lag es doch an die dreihundert Jahre zurück, seit sich der Bach zum ersten Mal darin ergoss, um fortan still und friedlich durch das Dorf zu fließen. Auf diese Anregung hin machten sich einige Gemeinderäte auf, um das Bett des Baches in Augenschein zu nehmen. Tatsächlich zeigte es sich, genau betrachtet, nicht besonders attraktiv, vielmehr ungepflegt und eng.
Zwar wurden Stimmen laut, dem Bach sein altes Bett zu lassen, war seinem Gurgeln und Plätschern doch zu entnehmen, dass er sich wohlfühlte. Auch hatte er es nie gewagt, über seine Ufer zu treten, geschweige denn sich so zu schwellen, dass die Gefahr bestand, in wilden Strudeln mitgerissen zu werden. In seinen Wassern spielten die Kinder, und deren Großväter saßen im Schatten der alten Weiden. So könnte es bleiben.
Lobenswerterweise aber war der überwiegende Teil der Einwohner der Ansicht, dem Bach ein frisches Bett zu machen, sodass die Gemeindeverwaltung zur Tat schreiten konnte. Sie beauftragte eine Firma in Oberbayern, die sich mit der Herstellung eines neuen Bettes für den Dorfbach beschäftigen sollte. Dieses Unternehmen hatte sich auf den Bettenbau von Bächen und Flüssen spezialisiert und nicht selten aus einem Rinnsal, das durch einen Ort rann, ein rauschendes Flüsschen geschaffen.
Diese Firma überzeugte schon bei der Einrichtung der Baustelle. Sieben kraftvolle Bagger, neun potente Planierraupen, allesamt hochtechnische Schürfgeräte, bauten sich wie Urtiere vor dem Bächlein auf und ließen auch die letzten Zweifler verstummen. Nun wurde das alte, schmächtige Bachbett zuerst einmal kräftig ausgehoben, um nach den neuesten Erkenntnissen der Gewässerforschung dem Bach eine akzeptable Fließgeschwindigkeit zu ermöglichen. Die Tiefe erlaubte es nun auch, das Bett auf beiden Seiten um acht Meter zu verbreitern, eine sinnvolle Breite, um eine ausbaufähige und vorbildliche Ufervegetation anzulegen.
Dabei ließ es sich allerdings nicht vermeiden, dass es mit einigen uneinsichtigen Bürgern zu heftigen Auseinandersetzungen kam, da ihre Kleingartenanlagen entfernt werden mussten. Doch hohe Ablösesummen und kräftige Gebühren an Rechtsanwälte waren nicht vergebens. Wo einst der Verkehr und lärmendes Schaffen dem Bach und seinem Bett arg zugesetzt hatten, entstanden bald herrliche Feuchtgebiete und Tümpel. Alle Grünanlagen des Ortes sowie private Gärten konnten nach einer beispielhaften Flurbereinigung diesem neuen Naturgebiet zugeschlagen und mit diesem vernetzt werden.
Bald durfte man von einem Biotop sprechen, das von Flora und Fauna gleichermaßen mit einer Mannigfaltigkeit besiedelt wurde, dass es sich wie von selbst ergab, dieses Naturschutzgebiet in besonderem Maße zu schützen. Nun galt es fern des Dorfbaches ein neues Straßen- und Wegenetz zu entwerfen, um die Einwohner, die vorübergehend als Nord- und Südbächler getrennt waren, durch beeindruckende Brücken und Unterführungen wieder zu verbinden. Hier zeigte sich einmal mehr, dass auch Beton, wenn er mit einem guten Gespür für Landschaftsarchitektur verbaut wird, sich wie selbstverständlich in die Natur einfügt. Was in diesem Dorf geschaffen wurde, hatte alle Erwartungen übertroffen.
Immer mehr seltene Vögel auf ihrem Flug in den Süden ließen sich gerne in diesem Paradies nieder. Was sogar Fachleute in Staunen versetzte, war die Beobachtung, dass auch Enten und Schwäne die neugeschaffenen Grünbrücken nutzten. Da auch immer mehr seltene Tiere wie der nachtblaue Nachtschreck oder der langohrige Tomatenfrosch hier ein Domizil fanden, kam es zu einem Beschluss der Landesregierung, diesen Ort autofrei zu halten.
Handwerksbetriebe schlossen, da der Maschinenlärm sensiblen Wasserbrütern wie etwa dem Kreuzbrusthüpfer oder dem Teichplätscher nicht mehr zugemutet werden konnte. Lautes Hupen oder das Knattern eines Mopeds hätten mit Sicherheit wohl auch den Moosgrammler sowie den Schilfbrunzer vertrieben. Besonderes furchtsam zeigte sich der Weidendäumling, der wegen seiner Schüchternheit auch nie gesehen wurde.
Deshalb war es für jeden selbstverständlich, dass Straßenfeste, öffentliche Sportveranstaltungen sowie Musikdarbietungen untersagt wurden. Kinder und Jugendliche durften den Spielplatz und das Freibad im Nachbardorf mitbenutzen, was dankend angenommen wurde.
Es konnte auch nur in aller Stille gefeiert werden, als der erste Befürworter des neuen Bachbettes geehrt und mit einer Verdienstmedaille ausgezeichnet wurde. „Wenn Einwohner eines Ortes mit ihrem guten Willen vorangehen“, so der Laudator, „dann können Planer auch Vorschläge und Ideen eines einzelnen Bürgers zum Wohle aller verwirklichen. Dass wir heute inmitten eines Naturschutzgebietes wohnen können, ist unserem Bürger Damian Strähl zu verdanken.“ Der Geehrte zeigte sich sichtlich gerührt. „Sein Erfolg“, erklärte er, „hätte ihn auch ermutigt, einer kleinen Inselgemeinde im Bodensee seine Hilfe für ihre Ortsgestaltung anzubieten. Er hätte auch schon…“
Aber das ist nun wirklich eine andere Geschichte.

Gedanken zum 11.11.2020

Meine lieben närrischen Mitmenschen!

Wahrlich, in Zeiten wie diesen haben wir wenig Grund zu lachen. Deshalb fragen sich viele verunsicherte Mitbürgerinnen und Mitbürger:
Wie begehen wir dann einen Tag wie den 11.11.?
Wie sollen wir uns verhalten?
Wird uns dieses Jahr die Martinsgans näher am Herzen liegen als die Fasnacht? Oder liegt uns nachher beides auf dem Magen?
Darf uns in unserem trauten Heim ein selbst deklamiertes „Ho Narro“ über die Lippen kommen?
Oder gilt es schon als frivol, wenn wir uns hinreißen lassen, die Melodie eines Fasnachtsliedes zu summen?
Dürfen wir uns erlauben, schon einmal verstohlen in den Schrank zu schauen, in dem das fasnächtliche Häs traurig am Bügel hängt, obwohl wir befürchten, es bei der nächsten Fasnacht nicht zu brauchen?
So viele Fragen ohne kompetente Antworten, so viele Zweifel, so viel Scheu vor der eigenen Courage!
Schenken wir also unser Vertrauen den Experten, denen wir in dieser schwierigen Zeit schwierige Fragen stellen durften. Und wir haben Antworten bekommen, Antworten und Meinungen von Leuten, die sich schon seit Jahren als großartige Akteure auf der fasnächtlichen Bühne behaupten konnten. Heimische Humoristen und fantasiegeschwängerte Gaukler, die bittere Niederlagen, aber auch frohlockende Auferstehungen erlebt haben, sie verstehen unsere Fragen.
Die wichtigste Frage war: Ist die Fasnacht noch zu retten?
Die Antwort eines hochrangigen Funktionärs, zuständig für „Angewandten Humor in Freiland und Raum“, konnten wir leider nur bruchstückhaft verstehen, da er mit einem Laubbläser unterwegs war. Seine Meinung wäre uns sehr wichtig gewesen. Was wir aber dennoch verstanden haben, war: „…wir müssen…“, „…das wäre ja noch schö…“, „…das kann man ha…“ und „…soweit kommt’s no…“. Bei etwas gutem Willen wollen wir auch hier ein JA zur Fasnacht heraushören, allerdings aber auch eine Bemerkung, die für eine Verlegung auf eine andere Jahreszeit hindeutet.
Ein langjähriger Betriebsleiter der heimischen Lustbarkeitsvereinigung war bei unserer Befragung innerlich so aufgewühlt, dass ihm die Augen wässrig wurden, und ihm für einen Moment die Stimme versagte. Allerdings, so stellte sich im Nachhinein heraus, war dafür ein Sägemehlschmurb in seiner Zimmerei verantwortlich, der ihm kurz vorher ins Gesicht gefahren war. Dennoch wollen wir seine roten Augen für einen Moment in Verbindung bringen mit der Tatsache, die Fasnacht absagen zu müssen, und deuten die Tränen in seinem Gesicht als persönliche Niederlage eines Betriebsleiters.
Die Aussage eines frischgewählten Elfers auf die Frage, was ihm die Fasnacht bedeute, überraschte uns in seiner Knappheit: Fasnacht ist Fasnacht. Nachdem wir erfuhren, dass dieser junge Fasnachter Psychologie, Philosophie und Theologie studiert, konnten wir seine Antwort verstehen.
Eine weitere Frage war auch: Soll das „Ho Narro“ noch als lauter Narrenruf im Sinne einer verbindenden Daseinsfreude ausgerufen werden, oder wäre es heuer angemessen, das „Ho Narro“ nur als gedämpften Gruß zu verwenden. Ein ausgelassenes, rieslingbeschwingtes Rufen, wie wir es auch schon von Seiten der Fasnachtsbevollmächtigten gehört haben (wollen), könnte man ja dann zu gegebener Zeit nachholen.
Unerschrockene Narrenbaumfäller, geschmackssichere Glühweinabschmecker und gefühlvolle Kinderkarussellbremser waren aber alle einer Meinung: „Do kasch sage, wat wit, d‘Lüt mached doch, was se wend.“ Was frei übersetzt so viel heißt wie: „Den meisten Leuten ist meine Meinung eh wurscht, sie machen ja doch, was sie wollen.“
Wir stellten auch die Frage: Kann der Humor dazu beitragen, die allgemeine Stimmung zu verbessern?
Ich weiß jetzt nicht, ob sie den Gerhard Polt kennen. Dieser hat neulich erst gesagt, er hätte den Humor auch noch nie gesehen, aber irgendwo müsse er schon sein, denn er wäre doch so notwendig und gerade, wenn es ernst wird, oft nicht anwesend. Das ist leider wahr, denn Humor könnte in vielen Situationen das Leben erträglicher machen, im politischen wie im religiösen Leben oder einfach nur in der Ehe.
Der Robert Eichhuber konnte unlängst mit seiner Frau die Goldene Hochzeit feiern. Seine Frau und er hätten manchmal gelacht, meinte er, obwohl es an diesem Tag überhaupt keinen Grund dafür gab. Aber sie hätten sich gesagt, da kommen bestimmt einmal Tage, da haben wir etwas zu lachen und wollen gerade nicht, dann gleicht sich das wieder aus. Das ist eben eine Ehe, in der der Humor sich zu helfen weiß.
Der Bernd Weinheber sagt auch, den Humor sollte man ernst nehmen. Er weiß, wovon er spricht. Er ist als Narrenpräsident sozusagen erster Funktionär, wenn es um die Verbreitung des öffentlichen Humors geht. Das ist gewiss keine leichte Aufgabe, denn er hat es in seinem Umfeld mit Menschen zu tun, die hier am See zwar in der Nähe des Rheins aufgewachsen, aber dennoch nicht mit einer rheinischen Fröhlichkeit ausgestattet sind. Trotzdem, auf seine Leute, das weiß der Bernd, kann er sich verlassen. Die meisten Mitglieder werden ihm dann am „Schmutzige Dunschdig“ wieder bestätigen können, dass sie rechtzeitig lustig geworden sind.
Hieronymus Semper, ein langjähriger Beobachter und Kenner der Reichenauer Fasnacht, äußerte sich so: Menschen am Bodensee gehen nicht leichtfüßig durchs Leben. Ihr Ausdruck von Lebensfreude ist nicht immer ersichtlich und für Fremde oft schwer zu erkennen. Wenn sie sich dennoch entschließen, für ein paar Tage im Jahr ihre vertraute Umgebung zu verlassen, um sich auf einem Festplatz dem hinzugeben, was die örtlichen Brauchtumspfleger an fasnächtlichen Lustbarkeiten für sie vorbereitet haben, dann kann man dies nur lobend hervorheben.
Sollten nun auf nicht absehbare Zeit viele dieser heiterkeitsgeladenen Zusammenkünfte ausfallen, könnte sich bei einigen Familien, bei denen der Urgroßvater schon ein inselbekannter Narr war, etwas anstauen, das unter dem Namen „Jetzt-wird-om-au-no-de-spaß-an-de-fasnacht-gnumme-Syndrom“ bekannt ist. Besonders betroffen könnten die Gewanne Ratzenried, Abtswiese und Melcherleshorn sein, aber auch die dünnbesiedelten Gemarkungen wie Bibershof und der Bügenspitz.
Es hat sich in vergangenen Jahren gezeigt, dass Menschen, denen an Fasnacht ein „Ho Narro“ vereint mit einer Grillwurst und einem Glühwein vorenthalten wurde, bedenkliche Entzugserscheinungen aufwiesen und sich übers Jahr griesgrämig und verschlossen zeigten.
Bei aller Trübsal, die man nun befürchtet, da war man sich einig, wollte man dennoch den Vorschlag eines Elferrates nicht in die Tat umsetzen, dieses Jahr zur Erheiterung statt eines Heiligen Martins ausnahmsweise Pippi Langstrumpf auf einem Pferd den Laternenumzug begleiten zu lassen. Das wäre des Lustigen dann doch zu viel gewesen.
Jetzt soll man ja lachen und feiern im kleinen Kreis. Manchmal sagt man auch im engen Kreis. Aber wie klein darf der Kreis sein, dass es einem nicht zu eng wird? Können Leute, die zusammenkommen, aber verschiedenen Narrenvereinen angehören, sich auf einen gemeinsamen Kreis einigen, in dem gelacht werden darf? Oder steht die Qualität des Lachens im Vordergrund, und muss die Frage des Kreises zurücktreten? Kann ein Narrenpräsident von der Reichenau mit dem Narrenpräsidenten von Allensbach – nur als Beispiel – noch herzlich lachen, obwohl jeder von ihnen weiß, dass ein enger Kreis, der sich aber als kleiner Kreis darstellt, in Allensbach anders berechnet wird, während ein kleiner Kreis auf der Reichenau rein rechnerisch, also in Umfang und Fläche, gar nicht eng bemessen sein muss, weil man sich an alten Klostermaßen orientiert?
Bei der Zusammenkunft verschiedener Narrenvereine ist man daher gut beraten, die Frage, wie weit ein Kreis zu ziehen ist, nicht in ein Gespräch einzubringen. Dass solch engstirnige Fragen die Harmonie erheblich stören können, ist bei Gesprächsrunden doch hinreichend bekannt, in denen Politiker gefragt werden, in welchen Kreisen sie sich gelegentlich aufhalten.
Gerne hätten wir diesbezüglich noch die Meinung von unserem Bundestagsabgeordneten gehört, aber er sagte, das könne nur wieder falsch verstanden werden. Er hätte schon einmal die Idee gehabt, die Reden, die im Bundestag gehalten wurden, auf ihren närrischen Gehalt zu untersuchen, wäre aber mit seinem Vorschlag grandios an vielen humorlosen Leuten auch aus der eigenen Partei gescheitert.
Dem Narren können wir vieles entschuldigen, nicht aber seine Lieder. Will man die Melodien, die meist harmlos daherkommen, noch leichtsinnig hinnehmen, sind die Texte und deren Dichter nicht selten barscher Kritik ausgesetzt. Nehmen wir zum Beispiel das Grundelelied, in dem es heißt: „Grundele kummed gschwumme…“
Stefan Keller, ein Fischer von der Reichenau, dessen Name aber nicht genannt werden soll, sagte: „Bei aller Liebe zu den Grundeln dürfe man auch Fische wie den Felchen, den Kretzer und den Hecht nicht vergessen.“ Auf die Frage, was er vom Alet halte, wollte er sich nicht äußern.
Stefan Riebel meinte, dass nicht einer, der je auf der Ergat das Grundelelied gesungen hat, nur einmal einen Gedanken daran verschwendet hätte, wie viele Grundeln er fangen müsse, um nur ein Pfund Grundelfilet zu erhalten. Und er fügte bitter hinzu, er hätte auch nicht den Eindruck, dass es immer mehr gäbe. „Es kummed all no me“. Das lässt sich leicht singen, aber das Fangen von Grundeln ist dann doch eine Angelegenheit, die sich viel mühsamer gestaltet.

Lachen und singen wir also im kleinen Kreis und wünschen uns und allen, dass es uns dabei nicht zu eng wird.
Und vergessen wir nicht, einen dazu einzuladen – den Humor

Grüne Bären – 7. Wut im Bauch

Otto Biller saß schon über eine Stunde an seinem Schreibtisch und starrte immer noch schockiert auf diesen Bären vor ihm, als ob dieser lebendig wäre, und er mit diesem wirklich sprechen könnte.
Dabei hatte er nur diesem Bären zugehört. „Ich möchte nicht mehr dein Bär sein. Ich möchte nicht mehr deinen Namen tragen. Du wirst mich nicht mehr herstellen und auch nicht mehr verkaufen.“
Schon als der Bär anfing zu reden, war Biller zusammengefahren. Er ahnte, dass aus dem Bauch dieses grünen Stofftieres noch Schlimmeres kommen könnte, das er sich auch noch anhören muss.
„Du wirst dich von deiner Frau scheiden lassen und nicht nachforschen, wo sie sich aufhält. Dafür werde ich deine erbärmlichen Liebschaften und deine korrupten Geschäfte nicht an die Öffentlichkeit bringen.“
Otto Biller selbst wusste nicht mehr, wie lange er auf den Bären gestiert und gewartet hatte, ob dieser noch etwas sagen würde. Auf einmal nahm er im Vorzimmer seine Sekretärin wahr, die anscheinend einen Kunden empfing und diesen fragte, ob er einen Termin hätte. Biller hörte noch, wie ein Mann ihr erklärte, dass er mit Sicherheit keinen Termin bräuchte. Dann fliegt auch schon die Tür zu seinem Büro auf, und Marius Wächter, der sich Glost nennt, steht vor seinem Schreibtisch.
„Du siehst schlecht aus, Otto“, sagt der Besucher, „richtig angegriffen.“
Otto Biller ist kreidebleich geworden und bringt keinen Ton heraus. Mit Marius hat er nicht gerechnet, nicht nach dieser Zeit.
Billers Sekretärin schließt auf einen Wink hin die Bürotür, und Wächter lässt sich auf einen der bequemen Besuchersessel fallen. „Hast du dich gut mit meinem Bären unterhalten?“
Biller ist jetzt wieder fähig, etwas zu sagen, aber seine Stimme klingt brüchig: „Was willst du von mir?“
„Das hat dir dieser doch schon gesagt.“ Marius deutet auf den grünen Spielzeugbären. „Übrigens soll ich dir einen schönen Gruß von Susanna ausrichten. Deine Frau ist auf dem Weg in einen langen Urlaub. So wie du sie in den letzten Jahren behandelt hast, hat sie den auch bitter nötig. Betrügst sie mit der Magda Baumann, dass du dich nicht schämst.“
„Hat sie gewusst, dass du wieder da bist und du meine Bären manipuliert hast?“ Billers Frage ist fast tonlos.
„Was glaubst du, wer dir diesen Bären auf den Schreibtisch gesetzt hat? Ja, wir sind schon einige Zeit wieder in Verbindung. Jetzt, nach so langer Zeit habe ich auch erfahren, was du ihr damals für Lügen über mich aufgetischt hast. Du bist wirklich so unverschämt gewesen, auch eine Geisteskrankheit zu erfinden, die ich angeblich haben sollte, und hast ihr dringend geraten, mich deshalb nicht zu heiraten.“
„Und warum bist du nicht schon früher zurückgekommen?“
„Das war Susannas Idee. Sie meinte, solch ein lukratives Geschäft, das sich aus meinem Verlobungsgeschenk entwickelt hat, früher schon abzubrechen, es wäre doch ein Jammer gewesen. So hat sich mein grüner Bär am Ende doch noch ausgezahlt. Also für die Susanna, meine ich, denn sie hat mir gesagt, du hättest dich sehr lange gesträubt, ihr bestimmte Vollmachten zu überschreiben.“
Otto Biller kam jetzt hinter seinem Schreibtisch in Atemnot. „Willst du damit sagen, dass Susanna alles…?“
Marius Wächter erhob sich von seinem Stuhl und lächelte. „Genau das wollte ich andeuten, Otto Biller, dass für dich wahrscheinlich nicht mehr viel übrigbleibt. Aber vergiss nicht, was der Otto-Bär auf deinem Schreibtisch gesagt hat. Wenn du ihn an seinem linken Ohr drückst, dann wiederholt er dir das gerne noch einmal.“

Ende

Grüne Bären – 6. Ein Mann namens Glost

„Ich habe gehört, Marius Wächter ist wieder zurückgekommen“, berichtet Riebsamen.
„Hab es auch schon von Härle erfahren“, antwortet Tanner. „Selbst getroffen hat er ihn aber auch noch nicht. Marius soll sich jetzt Glost nennen.“
Die beiden Männer sitzen auf der Terrasse der Sandseele, einer kleinen Gartenwirtschaft am Ufer des Bodensees. Ein angenehmes Lüftchen kühlt die Hitze des Tages und lässt das Wasser leicht kräuseln.
„Hat er sich jetzt einen Künstlernamen zugelegt?“ fragt Riebsamen. „Glost, darf man sich überhaupt so nennen, ich meine öffentlich?“
Tanner nickt. „Ich denke schon. Härle meint, Marius wäre als Lichtdesigner sehr erfolgreich und hätte damit viel Geld verdient. Sehr viel Geld. Sogar für den neuen Bond hat man ihn geholt, für Lichtinstallationen in den Innenräumen und spezielle Lampen im U-Bahnbereich.“
„Und warum, meinst du, ist er jetzt zurückgekommen?“
Tanner wartet bis die Bedienung zwei neue Biere serviert hat. „Ich weiß es nicht. Härle vermutet, sein Besuch könne Spielwaren Biller gelten, die beiden waren doch einmal Geschäftsfreunde.“
Riebsamen schaut nachdenklich aufs Wasser. „Das kann sein. Dann hat es vielleicht doch etwas mit diesem grünen Bären zu tun. Man munkelte damals, es wäre Wächters Idee gewesen, einen grünen Bären in das Sortiment aufzunehmen und zwar so einen, wie er heute noch verkauft wird. Biller hätte eine finanzielle Notlage von Wächter ausgenutzt und ihm die Rechte am Bären abgekauft.“
„Soviel ich mich jetzt erinnere“, meint Tanner, „war das eben nicht die Wahrheit. Marius Wächter hatte seiner damaligen Freundin Susanna Lämmle den grünen Bären zur Verlobung geschenkt. Seine komplette Idee, schön verpackt mit allen Entwürfen sowie Brief und Siegel vom Notar, und auch alle Rechte zur Vermarktung hat er an sie abgetreten.“
„Und dann?“ fragt Riebsamen.
„Dann, ja dann hat seine Susanna, was keiner begreifen konnte, von einem Tag auf den anderen die Verlobung gelöst und hat den Otto Biller geheiratet.“
„Und Marius Wächter?“
„Wurde von keinem mehr gesehen.“

Fortsetzung folgt

Grüne Bären – 5. Unheil mit der Post

Auch Helga Halbhuber, die in der Seestraße wohnt, kennt diese Bären in ihren Latzhosen. Was sie aber an einem Samstagmorgen in ihrem Garten entdeckt, als sie von einem Einkauf zurückkommt, ist dann doch eine echte Überraschung.
Es ist eine Bärin. Dieses Geschenk ist jetzt wirklich etwas Besonderes. Auch sie ist grün, trägt aber ein geblümtes Kleid. Am Ende eines Kettchens, das sie um den Hals trägt, ist auf einem silbernen Blättchen ihr Name eingraviert: Ottilie Bär. Sie sitzt in einer offenen Schachtel, die mit roter Seide ausgeschlagen ist.
Als Helga in ihrem Esszimmer die Bärin aus der Schachtel hebt, fängt diese an zu singen. Es ist ein Lied, das in Helga Halbhuber süße Erinnerungen hervorruft. Und sie weiß sofort, mit wem sie einst dieses Lied gesungen hat.
Die anderen „Schachtelbären“ kommen mit der Post. Diese singen keine Liebeslieder, diese bringen Unheil.
Die meisten sind als unauffällige Werbegeschenke deklariert. Andere wiederum kommen von Spielwaren Biller, verschickt als Aufmerksamkeit des Hauses mit einem inliegenden Schreiben von Otto Biller persönlich, in dem er sich bei seinen Freunden für die wohlwollenden Abstimmungen bedankt.
Ist der grüne Otto Bär erst einmal ausgepackt, fängt er als Überraschung an zu reden: „Das wird schon noch ans Licht kommen!“ oder „Dass du noch in den Spiegel schauen kannst!“ oder „Wenn das dein Mann wüsste!“ Solche Bemerkungen eben, eindeutige, zweideutige, unangenehme auf jeden Fall oder auch fiese Anspielungen auf den unmoralischen Lebenswandel der angesprochenen Person.
Sie alle führen zu unangenehmen Telefonaten, E-Mails und mündlichen Auseinandersetzungen. Es gibt gegenseitige Beschuldigungen und Beschimpfungen in übelster Form. Einer verdächtigt den anderen, die Bärenkampagne in die Wege geleitet zu haben. Die grünen Bären in ihren gelben Latzhosen haben ganze Arbeit geleistet.
Otto Billers Sekretärin unterbricht jetzt immer wieder schluchzend ihren Telefondienst. Was die Leute in den Apparat schreien ist für sie unerträglich. Nachdem sich im Vorzimmer auch noch aufgebrachte Besucher einfinden, die sich nicht beruhigen lassen, verlässt sie ihren Schreibtisch und geht nach Hause.
Otto Biller selbst kann sich die ganze Aufregung nicht erklären. Er muss immer wieder beteuern, keine sprechenden Bären oder gar Bären, die in der Lage sind, Gespräche abzuhören, zu kennen oder herzustellen. Außerdem versichert er jedem, keine Präsente mit Dankschreiben abgeschickt zu haben.
Wenn er gewusst hätte, dass auch sein Otto Bär, der unschuldig auf seinem Schreibtisch sitzt, schon lange ein Verräter ist, es wäre ihm einiges klargeworden.

Fortsetzung folgt

Grüne Bären – 4. Eine besondere Füllung

Ein Mann sitzt an seinem großen Arbeitstisch und arbeitet an einem Bären. Zwei dieser Plüschtiere liegen neben ihm. Das Licht einer Schreibtischlampe beleuchtet ihre Körper. Die Nähte an ihren Seiten sind sorgfältig aufgetrennt, die Körper scheinen wie „ausgenommen“. Daneben steht eine Schachtel, in der sich das Füllmaterial der Bärenbäuche befindet.
Wie die ganzen Jahre als Designer arbeitet er am liebsten allein, ohne sich selbst eine Zeit vorzugeben. Was hier kurz vor dem Abschluss steht, ist lange und gut vorbereitet und hat keine Eile. Das, was in den Bäuchen dieser Bären steckt, hat er zum großen Teil selbst entwickelt. Drei der Bären warten jetzt noch auf diese spezielle Füllung, dann gehen auch sie in den Versand.
Es gibt Bären, die sprechen, und solche, die nur hören können. Ein paar von ihnen benötigt er allerdings, die beides können.
Der Mann schaut auf seinen Monitor, der ihm die Standorte der bereits „ausgesetzen“ Otti-Bären anzeigt und ob diese gerade etwas für ihn Interessantes zu „hören“ bekommen.
Er ist mit seiner Arbeit sehr zufrieden.

Fortsetzung folgt

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