Auch Helga Halbhuber, die in der Seestraße wohnt, kennt diese Bären in ihren Latzhosen. Was sie aber an einem Samstagmorgen in ihrem Garten entdeckt, als sie von einem Einkauf zurückkommt, ist dann doch eine echte Überraschung.
Es ist eine Bärin. Dieses Geschenk ist jetzt wirklich etwas Besonderes. Auch sie ist grün, trägt aber ein geblümtes Kleid. Am Ende eines Kettchens, das sie um den Hals trägt, ist auf einem silbernen Blättchen ihr Name eingraviert: Ottilie Bär. Sie sitzt in einer offenen Schachtel, die mit roter Seide ausgeschlagen ist.
Als Helga in ihrem Esszimmer die Bärin aus der Schachtel hebt, fängt diese an zu singen. Es ist ein Lied, das in Helga Halbhuber süße Erinnerungen hervorruft. Und sie weiß sofort, mit wem sie einst dieses Lied gesungen hat.
Die anderen „Schachtelbären“ kommen mit der Post. Diese singen keine Liebeslieder, diese bringen Unheil.
Die meisten sind als unauffällige Werbegeschenke deklariert. Andere wiederum kommen von Spielwaren Biller, verschickt als Aufmerksamkeit des Hauses mit einem inliegenden Schreiben von Otto Biller persönlich, in dem er sich bei seinen Freunden für die wohlwollenden Abstimmungen bedankt.
Ist der grüne Otto Bär erst einmal ausgepackt, fängt er als Überraschung an zu reden: „Das wird schon noch ans Licht kommen!“ oder „Dass du noch in den Spiegel schauen kannst!“ oder „Wenn das dein Mann wüsste!“ Solche Bemerkungen eben, eindeutige, zweideutige, unangenehme auf jeden Fall oder auch fiese Anspielungen auf den unmoralischen Lebenswandel der angesprochenen Person.
Sie alle führen zu unangenehmen Telefonaten, E-Mails und mündlichen Auseinandersetzungen. Es gibt gegenseitige Beschuldigungen und Beschimpfungen in übelster Form. Einer verdächtigt den anderen, die Bärenkampagne in die Wege geleitet zu haben. Die grünen Bären in ihren gelben Latzhosen haben ganze Arbeit geleistet.
Otto Billers Sekretärin unterbricht jetzt immer wieder schluchzend ihren Telefondienst. Was die Leute in den Apparat schreien ist für sie unerträglich. Nachdem sich im Vorzimmer auch noch aufgebrachte Besucher einfinden, die sich nicht beruhigen lassen, verlässt sie ihren Schreibtisch und geht nach Hause.
Otto Biller selbst kann sich die ganze Aufregung nicht erklären. Er muss immer wieder beteuern, keine sprechenden Bären oder gar Bären, die in der Lage sind, Gespräche abzuhören, zu kennen oder herzustellen. Außerdem versichert er jedem, keine Präsente mit Dankschreiben abgeschickt zu haben.
Wenn er gewusst hätte, dass auch sein Otto Bär, der unschuldig auf seinem Schreibtisch sitzt, schon lange ein Verräter ist, es wäre ihm einiges klargeworden.

Fortsetzung folgt

Anmeldung für Gratis-Abonnement