Meine lieben närrischen Mitmenschen!

Wahrlich, in Zeiten wie diesen haben wir wenig Grund zu lachen. Deshalb fragen sich viele verunsicherte Mitbürgerinnen und Mitbürger:
Wie begehen wir dann einen Tag wie den 11.11.?
Wie sollen wir uns verhalten?
Wird uns dieses Jahr die Martinsgans näher am Herzen liegen als die Fasnacht? Oder liegt uns nachher beides auf dem Magen?
Darf uns in unserem trauten Heim ein selbst deklamiertes „Ho Narro“ über die Lippen kommen?
Oder gilt es schon als frivol, wenn wir uns hinreißen lassen, die Melodie eines Fasnachtsliedes zu summen?
Dürfen wir uns erlauben, schon einmal verstohlen in den Schrank zu schauen, in dem das fasnächtliche Häs traurig am Bügel hängt, obwohl wir befürchten, es bei der nächsten Fasnacht nicht zu brauchen?
So viele Fragen ohne kompetente Antworten, so viele Zweifel, so viel Scheu vor der eigenen Courage!
Schenken wir also unser Vertrauen den Experten, denen wir in dieser schwierigen Zeit schwierige Fragen stellen durften. Und wir haben Antworten bekommen, Antworten und Meinungen von Leuten, die sich schon seit Jahren als großartige Akteure auf der fasnächtlichen Bühne behaupten konnten. Heimische Humoristen und fantasiegeschwängerte Gaukler, die bittere Niederlagen, aber auch frohlockende Auferstehungen erlebt haben, sie verstehen unsere Fragen.
Die wichtigste Frage war: Ist die Fasnacht noch zu retten?
Die Antwort eines hochrangigen Funktionärs, zuständig für „Angewandten Humor in Freiland und Raum“, konnten wir leider nur bruchstückhaft verstehen, da er mit einem Laubbläser unterwegs war. Seine Meinung wäre uns sehr wichtig gewesen. Was wir aber dennoch verstanden haben, war: „…wir müssen…“, „…das wäre ja noch schö…“, „…das kann man ha…“ und „…soweit kommt’s no…“. Bei etwas gutem Willen wollen wir auch hier ein JA zur Fasnacht heraushören, allerdings aber auch eine Bemerkung, die für eine Verlegung auf eine andere Jahreszeit hindeutet.
Ein langjähriger Betriebsleiter der heimischen Lustbarkeitsvereinigung war bei unserer Befragung innerlich so aufgewühlt, dass ihm die Augen wässrig wurden, und ihm für einen Moment die Stimme versagte. Allerdings, so stellte sich im Nachhinein heraus, war dafür ein Sägemehlschmurb in seiner Zimmerei verantwortlich, der ihm kurz vorher ins Gesicht gefahren war. Dennoch wollen wir seine roten Augen für einen Moment in Verbindung bringen mit der Tatsache, die Fasnacht absagen zu müssen, und deuten die Tränen in seinem Gesicht als persönliche Niederlage eines Betriebsleiters.
Die Aussage eines frischgewählten Elfers auf die Frage, was ihm die Fasnacht bedeute, überraschte uns in seiner Knappheit: Fasnacht ist Fasnacht. Nachdem wir erfuhren, dass dieser junge Fasnachter Psychologie, Philosophie und Theologie studiert, konnten wir seine Antwort verstehen.
Eine weitere Frage war auch: Soll das „Ho Narro“ noch als lauter Narrenruf im Sinne einer verbindenden Daseinsfreude ausgerufen werden, oder wäre es heuer angemessen, das „Ho Narro“ nur als gedämpften Gruß zu verwenden. Ein ausgelassenes, rieslingbeschwingtes Rufen, wie wir es auch schon von Seiten der Fasnachtsbevollmächtigten gehört haben (wollen), könnte man ja dann zu gegebener Zeit nachholen.
Unerschrockene Narrenbaumfäller, geschmackssichere Glühweinabschmecker und gefühlvolle Kinderkarussellbremser waren aber alle einer Meinung: „Do kasch sage, wat wit, d‘Lüt mached doch, was se wend.“ Was frei übersetzt so viel heißt wie: „Den meisten Leuten ist meine Meinung eh wurscht, sie machen ja doch, was sie wollen.“
Wir stellten auch die Frage: Kann der Humor dazu beitragen, die allgemeine Stimmung zu verbessern?
Ich weiß jetzt nicht, ob sie den Gerhard Polt kennen. Dieser hat neulich erst gesagt, er hätte den Humor auch noch nie gesehen, aber irgendwo müsse er schon sein, denn er wäre doch so notwendig und gerade, wenn es ernst wird, oft nicht anwesend. Das ist leider wahr, denn Humor könnte in vielen Situationen das Leben erträglicher machen, im politischen wie im religiösen Leben oder einfach nur in der Ehe.
Der Robert Eichhuber konnte unlängst mit seiner Frau die Goldene Hochzeit feiern. Seine Frau und er hätten manchmal gelacht, meinte er, obwohl es an diesem Tag überhaupt keinen Grund dafür gab. Aber sie hätten sich gesagt, da kommen bestimmt einmal Tage, da haben wir etwas zu lachen und wollen gerade nicht, dann gleicht sich das wieder aus. Das ist eben eine Ehe, in der der Humor sich zu helfen weiß.
Der Bernd Weinheber sagt auch, den Humor sollte man ernst nehmen. Er weiß, wovon er spricht. Er ist als Narrenpräsident sozusagen erster Funktionär, wenn es um die Verbreitung des öffentlichen Humors geht. Das ist gewiss keine leichte Aufgabe, denn er hat es in seinem Umfeld mit Menschen zu tun, die hier am See zwar in der Nähe des Rheins aufgewachsen, aber dennoch nicht mit einer rheinischen Fröhlichkeit ausgestattet sind. Trotzdem, auf seine Leute, das weiß der Bernd, kann er sich verlassen. Die meisten Mitglieder werden ihm dann am „Schmutzige Dunschdig“ wieder bestätigen können, dass sie rechtzeitig lustig geworden sind.
Hieronymus Semper, ein langjähriger Beobachter und Kenner der Reichenauer Fasnacht, äußerte sich so: Menschen am Bodensee gehen nicht leichtfüßig durchs Leben. Ihr Ausdruck von Lebensfreude ist nicht immer ersichtlich und für Fremde oft schwer zu erkennen. Wenn sie sich dennoch entschließen, für ein paar Tage im Jahr ihre vertraute Umgebung zu verlassen, um sich auf einem Festplatz dem hinzugeben, was die örtlichen Brauchtumspfleger an fasnächtlichen Lustbarkeiten für sie vorbereitet haben, dann kann man dies nur lobend hervorheben.
Sollten nun auf nicht absehbare Zeit viele dieser heiterkeitsgeladenen Zusammenkünfte ausfallen, könnte sich bei einigen Familien, bei denen der Urgroßvater schon ein inselbekannter Narr war, etwas anstauen, das unter dem Namen „Jetzt-wird-om-au-no-de-spaß-an-de-fasnacht-gnumme-Syndrom“ bekannt ist. Besonders betroffen könnten die Gewanne Ratzenried, Abtswiese und Melcherleshorn sein, aber auch die dünnbesiedelten Gemarkungen wie Bibershof und der Bügenspitz.
Es hat sich in vergangenen Jahren gezeigt, dass Menschen, denen an Fasnacht ein „Ho Narro“ vereint mit einer Grillwurst und einem Glühwein vorenthalten wurde, bedenkliche Entzugserscheinungen aufwiesen und sich übers Jahr griesgrämig und verschlossen zeigten.
Bei aller Trübsal, die man nun befürchtet, da war man sich einig, wollte man dennoch den Vorschlag eines Elferrates nicht in die Tat umsetzen, dieses Jahr zur Erheiterung statt eines Heiligen Martins ausnahmsweise Pippi Langstrumpf auf einem Pferd den Laternenumzug begleiten zu lassen. Das wäre des Lustigen dann doch zu viel gewesen.
Jetzt soll man ja lachen und feiern im kleinen Kreis. Manchmal sagt man auch im engen Kreis. Aber wie klein darf der Kreis sein, dass es einem nicht zu eng wird? Können Leute, die zusammenkommen, aber verschiedenen Narrenvereinen angehören, sich auf einen gemeinsamen Kreis einigen, in dem gelacht werden darf? Oder steht die Qualität des Lachens im Vordergrund, und muss die Frage des Kreises zurücktreten? Kann ein Narrenpräsident von der Reichenau mit dem Narrenpräsidenten von Allensbach – nur als Beispiel – noch herzlich lachen, obwohl jeder von ihnen weiß, dass ein enger Kreis, der sich aber als kleiner Kreis darstellt, in Allensbach anders berechnet wird, während ein kleiner Kreis auf der Reichenau rein rechnerisch, also in Umfang und Fläche, gar nicht eng bemessen sein muss, weil man sich an alten Klostermaßen orientiert?
Bei der Zusammenkunft verschiedener Narrenvereine ist man daher gut beraten, die Frage, wie weit ein Kreis zu ziehen ist, nicht in ein Gespräch einzubringen. Dass solch engstirnige Fragen die Harmonie erheblich stören können, ist bei Gesprächsrunden doch hinreichend bekannt, in denen Politiker gefragt werden, in welchen Kreisen sie sich gelegentlich aufhalten.
Gerne hätten wir diesbezüglich noch die Meinung von unserem Bundestagsabgeordneten gehört, aber er sagte, das könne nur wieder falsch verstanden werden. Er hätte schon einmal die Idee gehabt, die Reden, die im Bundestag gehalten wurden, auf ihren närrischen Gehalt zu untersuchen, wäre aber mit seinem Vorschlag grandios an vielen humorlosen Leuten auch aus der eigenen Partei gescheitert.
Dem Narren können wir vieles entschuldigen, nicht aber seine Lieder. Will man die Melodien, die meist harmlos daherkommen, noch leichtsinnig hinnehmen, sind die Texte und deren Dichter nicht selten barscher Kritik ausgesetzt. Nehmen wir zum Beispiel das Grundelelied, in dem es heißt: „Grundele kummed gschwumme…“
Stefan Keller, ein Fischer von der Reichenau, dessen Name aber nicht genannt werden soll, sagte: „Bei aller Liebe zu den Grundeln dürfe man auch Fische wie den Felchen, den Kretzer und den Hecht nicht vergessen.“ Auf die Frage, was er vom Alet halte, wollte er sich nicht äußern.
Stefan Riebel meinte, dass nicht einer, der je auf der Ergat das Grundelelied gesungen hat, nur einmal einen Gedanken daran verschwendet hätte, wie viele Grundeln er fangen müsse, um nur ein Pfund Grundelfilet zu erhalten. Und er fügte bitter hinzu, er hätte auch nicht den Eindruck, dass es immer mehr gäbe. „Es kummed all no me“. Das lässt sich leicht singen, aber das Fangen von Grundeln ist dann doch eine Angelegenheit, die sich viel mühsamer gestaltet.

Lachen und singen wir also im kleinen Kreis und wünschen uns und allen, dass es uns dabei nicht zu eng wird.
Und vergessen wir nicht, einen dazu einzuladen – den Humor

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