Es ist ein nasskalter Oktobermorgen, als Magda Baumann, die Frau eines Fischers, vor die Haustüre tritt. Ihr Blick gilt zuerst dem Wetter. Nebelschwaden treiben über dem See, und im Westen zieht eine Schlechtwetterwand auf.
Als eine ihrer Katzen um ihre Beine streicht, und sie nach unten schaut, sieht sie, dass auf der unteren Treppenstufe ein Paket liegt. Sie nimmt es hoch und stellt verwundert fest, es ist an sie adressiert. Über ihrem Namen steht mit großen, roten Buchstaben zusätzlich „Persönlich“.
Sie trägt den Karton in die Küche, stellt ihn auf die Arbeitsplatte, schneidet die Klebebänder mit einem Küchenmesser auf und öffnet die Verpackung. Etwas ist mit viel blauem Seidenpapier eingeschlagen: ein Bär. Sie kennt die grünen Otto-Bären, die in verschiedenen Geschäften verkauft werden. Aber wer schickt ihr am frühen Morgen solch ein Geschenk, ohne Absender?
Magda Baumann hebt den Bären mit der gelben Latzhose aus der Schachtel und lässt ihn im selben Moment vor Schreck auf die Platte zurückfallen. Der Bär spricht. Kaum hat sie das grüne Püschtier berührt, fängt dieses an zu reden. Eine Stimme, die aus dem Bauch kommt, ein bisschen blechern und fremd, wie man es von einem Aufzeichnungsgerät kennt, aber dennoch laut und auch deutlich: „Ich wünsche dir einen guten Morgen, liebe Magda. Du darfst mich Glost nennen oder auch Wunderbär, weil sich noch viele über mich wundern werden.“
Erst jetzt bemerkt Magda, dass auf dem Brustlatz der gelben Hose nicht wie üblich Otto-Bär steht, sondern „GLOST“. Sie kann mit diesem Namen nichts anfangen.
„Ich möchte, dass du mich durch deinen Alltag trägst. Überall, wo du hingehst, möchte auch ich dabei sein. Vergiss auch nicht, mich mitzunehmen, wenn du den Biller Otto besuchst.“
Magda Baumann starrt auf den Bären, hat plötzlich sogar den Eindruck, der Bär schaue sie an, als ob er lebendig sei. Diese Glasaugen schillern so lebensecht. Sie sieht, wie die Pupillen sich bewegen.
„Ich freue mich, auch deinen Mann kennenzulernen“, hört sie den Bär sagen.
Jetzt verliert Magda Baumann gänzlich die Fassung. Was könnte dieser Bär ihrem Mann erzählen? Wer verbirgt sich hinter diesem Namen Glost? Weiß er von ihrer Affäre mit Otto Biller? Panisch packt sie das Stofftier, drückt es fieberhaft zurück in die Schachtel und schließt diese, damit sie seine Augen nicht mehr sehen muss. Aber sie hört noch immer seine Stimme: „Ich möchte, dass du mir alles …“
„Sei still“, schreit Magda. „Halt endlich dein blödes Maul!“
„…über den Otto…“, kommt aus der Schachtel.
Sie holt einen schweren, eisernen Fleischklopfer aus der Schublade und schlägt mit diesem auf die Schachtel ein. Immer wieder. Immer wieder. Immer wieder.

Fortsetzung folgt

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