auf der Insel hat ein Gockelhahn sein Leben ausgehaucht. Die Meldung war zwar am Rande notiert, macht aber dennoch nachdenklich. Der Hahn starb nicht auf die übliche Weise. Er wurde aus dem Hühnerstall gestohlen und dann erwürgt, weil er das getan hatte, was Hähne im Allgemeinen tun, er hatte gekräht. Er schritt morgens stolz aus seinem Stall, schüttelte sein Gefieder und krähte zu einer Zeit, in der Menschen gerne noch ungestört in den Federn liegen bleiben wollen.
Dem Hahn geschieht das eigentlich ganz recht! Schließlich müsste er wissen, dass wir nicht mehr auf dem Lande leben, wo Sau und Kuh ums Haus laufen, und dass unsere Gäste auch keinen Urlaub auf dem Bauernhof bestellt haben. Wenn trotzdem landwirtschaftliche Fahrzeuge in aller Herrgottsfrühe an der Ferienwohnung vorbeiknattern, ist das etwas ganz Anderes.
Wochenlang fahren erschreckte Feriengäste in der Morgendämmerung aus dem Schlaf, weil sie einen militärischen Angriff erwarten. Kein Angriff – kein Manöver! Ein kleiner Scherz der Winzer, die mit ihren Vogelschreckgeräten an den Hängen der Hochwart mit Donnerschlägen das Heranreifen der neuen reichenauer Weine ankündigen.
Und in diese uns Inselbewohnern so vertraute, mechanische Klangwelt erlaubt sich ein Gockel zu krähen. Dieses natürlich-tierische Geschrei! Das ist eine Unverschämtheit. Wie wohlklingend ist dagegen der Sound einer Moto Guzzi, einer urwüchsigen, zweirädrigen Sportmaschine, die uns nachts um halb drei ihren satten Zweizylinder-Gesang zu Gehör bringt. Und wie gerne lauscht man in einer Maiennacht dem lieblichen Surren eines echt gut frisierten Mopeds. Das sind Geräusche, die unser Ohr erfreuen.
Über die Insel mit Vollgas! Damit zeigen wir unseren Gästen, dass wir keine Hühnerstallbauern mehr sind, kein dem Fortschritt verschlossener Menschenschlag, wie es etwa nordische Inselbewohner sind. Wer immer dort schon Urlaub gemacht hat, weiß es längst. Weite Teile ihrer Inseln lassen diese für den öffentlichen Verkehr sperren. Aber die Möwen dürfen den ganzen Tag kreischen, das Meer darf sogar in der Nacht rauschen, der Wind pfeift über die Dämme, und die Schafe blöken, wann sie wollen. Doch zum Brötchenholen muss man in die Fußgängerzone laufen. Ein Wunder, dass es da vielen Urlaubern noch Spaß macht.
So weit wird es bei uns nicht kommen! – Oder doch?
Liebe Tante Annemie, sei herzlich gegrüßt von Deinem Neffen Dieter

PS: Schreit Dein Papagei immer noch so viel?

Veröffentlicht 1996

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